Donnerstag, 9. Juni 2016

Brief für Hilke

Hallo liebe Hilke,
es ist fast genau 200 Jahre her, das Du hier gelebt hast,
wo ich auch aufgewachsen bin.
Der selbe Ort, aber die Landschaft hat sich verändert.
Das ganze Moor ist abgebaut.  Häuser und Straßen sind jetzt überall.
Große Bäume, Blumen und Sträucher.
Das alles hattest Du ja nicht, als Du mit Deinem Mann hier her zogst.
Es muss komisch für Dich gewesen sein, als Ihr ziemlich einsam,
in einem winzigen Häuschen wohntet.
Weit und breit nur Moor. Dein Mann hat sicher den ganzen Tag immer
nur Torf gestochen und Du hast es aufgeschichtet.
Mit 25 Jahren hast du deinen Mann geheiratet.
Ob Dein Mann es wohl geschafft hat, nach einem anstrengenden Tag, Dir zu sagen,
wie gut Du Deine Arbeit machst und das er Dich liebt?

Das Du ohne Arzt und Hebamme 6 Kinder bekommen würdest,
das kein Kindergarten Dir die Arbeit mit den Kindern mal abnimmt.
Das erst Dein lieber Sohn Gerd stirbt.
Darauf Dein Mann, obwohl Du gerade erst 42 Jahre alt bist und
das Du noch Antje, Deine liebe 24 jährige Tochter beerdigen musst.
Das alles wusstest Du ja nicht vorher. Wie hast Du es wohl verkraftet?
Trauertherapie gab es ja damals noch nicht.

Ob du oft einsam warst? Ohne Telefon, Nachbarn, Whats up oder viele Besucher?
Ob Du wohl gerne abends gestrickt und gehäkelt hast?
Vielleicht hast Du viel gesungen, hattest immer gute Laune
und hast Dich auf jeden Tag neu gefreut.
Aber vielleicht hattest Du auch Heimweh.
Du kamst aus einer Stadt und wohntest jetzt einsam auf dem Moor.

Dein Leben, liebe Hilke, sah damals ganz anders aus als meines heute.
Ich habe jeden Tag mit vielen Leuten Kontakt.
Ich brauche keine Kühe zu melken und nicht neben einer Ziege schlafen.
Und doch sind wir in unserem Leben mal glücklich und mal traurig,
mal gut und mal schlecht drauf.
Wir beide sind Frauen, die gerne Spuren hinterlassen möchten.

Bei Dir hat es geklappt. Heute 200 Jahre nachdem Du geboren bist,
sehe ich Dich in meinem Stammbaum.
Ich habe etwas von Deinen Genen in meinen.
Irgendetwas von Deinen Eigenarten, ist vielleicht auch in mir?
Vielleicht lachen wir beide gleich oder haben die gleiche Haarfarbe?

Es ist nicht wichtig, was man für ein Haus hat,
was für ein Komfort, Luxus oder Kleider.
Heute will ich mich wieder neu daran erinnern was
oder wer in meinem Leben wirklich wichtig ist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen